Verwaltungsgericht Minden, 6 K 1776/09 | Häusliche Hilfe (Elternassistenz) für Mutter mit Behinderung

Verwaltungsgericht Minden, 6 K 1776/09, Urteil vom 25.06.2010

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 23.06.2009 verpflichtet, der Klägerin die im Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 entstandenen Aufwendungen für häusliche Hilfe bei der Versorgung ihres Sohnes K. und der damit verbundenen Elternassistenz im Umfang von insgesamt 12.424,80 EUR zu erstatten, abzüglich bereits geleisteter Erstattungszahlungen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die im Januar 1972 geborene, seit Ende 2008 verheiratete Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen Lähmung aller vier Gliedmaßen (Tetraplegie) und ist auf einen Rollstuhl angewiesen (Pflegestufe II). Sie kann nur begrenzte Tätigkeiten im Haushalt erledigen und ist in allen Lebensbereichen auf Unterstützung angewiesen. Deswegen erhält sie vom Beigeladenen als überörtlichem Träger der Sozialhilfe seit Jahren Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII; den übrigen Hilfebedarf (Haushalt, Unterstützung beim Aufstehen, Ankleiden, Frisieren etc.) deckt ihr als Arbeiter berufstätiger Ehemann ab.

Am 14.04.2009 wurde die Klägerin durch einen terminlich geplanten Kaiserschnitt Mutter eines gesunden Sohnes. Bereits mit Schreiben vom 05.03.2009 beantragte sie beim Beigeladenen die Übernahme der Kosten einer „Elternassistenz“ ab dem 15.07.2009 im Umfang von zehn Stunden werktäglich mit der Begründung, ihr Ehemann werde nach dreimonatiger Elternzeit in seinen Beruf zurückkehren und sie werde dann während seiner arbeitstäglich zehnstündigen Abwesenheit zur Erfüllung ihrer Rolle als Mutter und zur Versorgung ihres Sohnes auf Grund ihrer körperlichen Behinderung auf die beantragte Hilfe – unabhängig von der ihr bereits jetzt geleisteten Hilfe – angewiesen sein. Ihr sei wichtig, dass durchgehend eine Person im Haus sei, die nach ihren Vorstellungen und Wünschen als Mutter die anfallenden Tätigkeiten stellvertretend für sie ausführe. Da es sich um die Deckung ihres Hilfebedarfs bei der Versorgung ihres Sohnes und nicht eines Hilfebedarfs des Kindes handele, beantrage sie die Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe, nicht der Jugendhilfe.

Unter dem 13.03.2009, bei dem Beklagten eingegangen am 18.03.2009, leitete der Beigeladene den Hilfeantrag gemäß § 14 SGB IX an den Beklagten als örtlichen Träger der Jugendhilfe weiter mit dem Bemerken, es gehe um die Versorgung des Kindes. Der Beklagte sandte den Antrag umgehend an den Beigeladenen zurück, weil er sich für unzuständig hielt, konnte sich in einem Telefonat mit dem Beigeladenen Ende März 2009 aber nicht über die Zuständigkeit einigen.

Daraufhin beantragten die Klägerin und ihr Ehemann am 26.05.2009 bei dem Beklagten Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII mit inhaltlich demselben Begehren wie im vorherigen Antrag, nunmehr aber erst für die Zeit ab dem 14.08.2009 und – weil der Kindesvater nach der Elternzeit in Kurzarbeit gehen werde – nur noch im Umfang von 40 Stunden wöchentlich, wobei sie sich Änderungen des Umfangs ausdrücklich vorbehielten. Sie wünschten vorrangig die Übernahme der Personalkosten für eine von ihnen selbst beauftragte Person, würden gegebenenfalls aber auch eine öffentliche Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen. Die Klägerin könne weder die Nahrung für ihr Kind zubereiten noch die pflegerischen Tätigkeiten ausüben; die Hilfe würde deshalb auch einen Haushaltshilfecharakter haben. Der Beklagte hielt aus fachlicher Sicht die beantragte Unterstützung für erforderlich, sah hierfür aber den Beigeladenen in der Pflicht. Dieser meinte jedoch, der eigene Hilfebedarf der Klägerin sei bereits gedeckt und die jetzt beantragte Hilfe werde von deren Sohn benötigt, der Hilfe aber nur vom Jugendamt beanspruchen könne.

Durch Bescheid vom 23.06.2009 lehnte der Beklagte sowohl den am 13.03.2009 vom Beigeladenen an ihn weitergeleiteten als auch den am 26.05.2009 direkt bei ihm gestellten Antrag auf Kostenübernahme für eine „Elternassistenz“ ab mit der Begründung, er selbst sei weder nach § 20 noch nach § 23 oder §§ 27, 31 SGB VIII sachlich zuständig, auch nicht als zweitangegangener (Rehabilitations-)Träger. Mit Schreiben vom 14.07.2009 stellte er klar, dass die Ablehnung vom 23.06.2009 auch einen inzwischen gestellten Antrag der Klägerin vom 13.07.2009 auf Auszahlung eines Elternbudgets umfasse; der Antrag auf ein persönliches Budget sei ein Antrag auf eine besondere Gestaltung der Elternassistenz.

Am 17.07.2009 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und begehrte „Kosten für – Elternassistenz/Leistungen zur Eingliederungshilfe gem. § 53 ff SGB XIII – Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen gem. § 20 SGB VIII – Hilfe in besonderen Lebenslagen gem. SGB XII – Hilfen zur Erziehung gem. § 27 ff“ mit dem Bemerken „Hilfebedarf ab 18.08.2009“. In jenem Verfahren vertrat der Beigeladene die Auffassung, die Klägerin habe einen Jugendhilfeanspruch nach § 19 SGB VIII. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 31.07.2009 – 6 L 382/09 – (www.nrwe.de = Juris) verpflichtete die Kammer den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, die der Klägerin entstehenden Kosten für häusliche Hilfe bei der Versorgung ihres am 14.04.2009 geborenen Sohnes und der damit verbundenen Haushaltsführung („Elternassistenz“) für die Zeiten der berufsbedingten häuslichen Abwesenheit ihres Ehemannes im Umfang bis zu 40 Stunden wöchentlich für den Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010, längstens allerdings bis zur rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Klageverfahren oder bis zur Übernahme einer entsprechenden Hilfeleistung durch den Beigeladenen, bis zu einem Betrag von monatlich 1.400 EUR (errechnet anhand einer telefonischen Erklärung der Klägerin vom 30.07.2009) zu übernehmen; letztlich sei jedoch der Beigeladene als sachlich zuständiger überörtlicher Träger der Sozialhilfe zur Erfüllung des der Klägerin zustehenden sozialhilferechtlichen Anspruchs auf „Elternassistenz“ nach § 53 SGB XII verpflichtet.

Ebenfalls am 17.07.2009 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie führt aus, dass der ihr durch Beschluss der Kammer vom 31.07.2009 bis zum 14.04.2010 zugesprochene Betrag in Höhe von monatlich 1.400 EUR nicht ausreiche, um ihrer Assistentin den vereinbarten Stundenlohn in Höhe von 8 EUR zuzüglich der fälligen Sozialabgaben zahlen zu können; bislang seien die Lohnnebenkosten außer Acht gelassen worden. Für einen Stundenlohn von 8 EUR könne sie seit März 2010 keine Assistentin mehr finden. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass sie bei Erkrankung ihrer Assistentin eine Aushilfe (Minijob) einstellen müsse, für die ebenfalls Sozialabgaben zu leisten seien. Von dem ihr im Beschluss vom 31.07.2009 bewilligten Betrag könne sie zudem nicht den ihrer Assistentin zustehenden Urlaubsanspruch entgelten. Schließlich benötige sie für die korrekte monatliche Lohnabrechnung ihrer Mitarbeiter/innen die Hilfe eines Steuerfachmannes.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 23.06.2009 zu verpflichten, ihr die im Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 entstandenen Aufwendungen für häusliche Hilfe bei der Versorgung ihres Sohnes K. und der damit verbundenen Haushaltsführung („Elternassistenz“) im Umfang von insgesamt 12.424,80 EUR zu erstatten, abzüglich bereits geleisteter Erstattungszahlungen.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Der Beklagte hält sich für letztlich unzuständig und beruft sich zur Stützung dieser Auffassung auf das von ihm überreichte, im Februar 2006 im Auftrag des „Netzwerks behinderter Frauen Berlin e.V.“ mit Unterstützung der „Aktion Mensch“ erstellte Rechtsgutachten von Dr. jur. Julia Zinsmeister mit dem Titel „Staatliche Unterstützung behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages“. Er erklärt, er habe die von der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum aufgelisteten Lohnzahlungen einschließlich der Sozialabgaben sowie die sonstigen Ausgaben und Einnahmen überprüft und für schlüssig befunden.

Der Beigeladene, der ebenfalls keinen Antrag stellt, bleibt bei seiner Auffassung, nicht zuständig zu sein, und hält an der Auffassung fest, § 20 SGB VIII sei die einschlägige Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin.

Der Beigeladene hat einen Antrag der Klägerin auf Bewilligung von „Elternassistenz“ für die Zeit ab dem 15.04.2010 wiederum an den Beklagten weitergeleitet. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 06.05.2010 hat der Beklagte als zweitangegangener Träger der Klägerin die Übernahme der Kosten für häusliche Hilfe bei der Versorgung ihres Sohnes K. und der damit verbundenen Haushaltsführung für die Zeiten der berufsbedingten Abwesenheit ihres Ehemannes in einem Umfang von bis zu 41,25 Std. wöchentlich ab dem 15.04.2010 bis zum 31.07.2011, längstens bis zur rechtskräftigen Übernahme einer entsprechenden Hilfeleistung durch den Beigeladenen, bis zu einem Betrag von 2.200 EUR monatlich bewilligt.

In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten ihre Einigkeit darüber erklärt, dass die Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum neben bereits erstatteten 11.093,33 EUR weitere 1.331,47 EUR als Hilfeleistung beanspruchen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 6 L 382/09 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig.

Das von der juristisch nicht vorgebildeten Klägerin mit der Klage verfolgte, untechnisch formulierte Begehren war auf Grund ihres Vorbringens und der von ihr im Klageverfahren und im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung überreichten Unterlagen von Anfang an objektiv (§ 88 VwGO) auf die Verpflichtung des Beklagten gerichtet, für einen begrenzten Zeitraum – dessen Ende sie anfangs noch nicht konkretisiert hatte – die ihr durch eine „Elternassistenz“ (häusliche Hilfe bei der Versorgung ihres Sohnes K. und der damit verbundenen Haushaltsführung) entstehenden Kosten zu übernehmen/erstatten. Dass die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.07.2009 „Klage gegen den Bescheid des Jugendamtes vom 23.06.09 zum Antrag auf Hilfe zur Erziehung gem. § 27 SGB VIII“ erhoben hat, ändert nichts daran, dass ihr Begehren inhaltlich stets auf das Ziel „Kostenübernahme für eine Elternassistenz“ gerichtet war.

Streitbefangen ist der Zeitraum vom 18.08.2009 (entsprechend dem letztgültigen Leistungsantrag der Klägerin) bis zum 14.04.2010. Das Ende des streitigen Hilfezeitraums hat die Klägerin nachträglich dadurch konkretisiert, dass sie für die Zeit ab dem 15.04.2010 einen neuen, vom Beklagten mittlerweile bestandskräftig beschiedenen Hilfeantrag gestellt hat.

Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin hat im streitbefangenen Zeitraum einen sozialhilferechtlichen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach § 53 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und 4 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 SGB IX – hier auf Gewährung von „Elternassistenz“ -, den im Außenverhältnis zur Klägerin der Beklagte als zweitangegangener (Rehabilitations-)Träger erfüllen muss. Der Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die im streitbefangenen Zeitraum im Rahmen der „Elternassistenz“ unstreitig entstandenen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 12.424,80 EUR zu erstatten. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 23.06.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB XII ist es die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, u.a. die Folgen einer Behinderung zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, wozu insbesondere u.a. gehört, den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII gelten für die Leistungen zur Teilhabe die Vorschriften des SGB IX, während die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für diese Leistungen sich nach dem SGB XII richten. Gemäß § 55 Abs. 1 SGB IX werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 des SGB IX nicht erbracht werden. § 55 Abs. 2 SGB IX nennt die Leistungen, die „insbesondere“ hierzu zählen; die dortige Aufzählung ist also nicht abschließend. Nach den genannten Normen steht der Klägerin ein Anspruch auf „Elternassistenz“ zu.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer an Stelle einer näheren Begründung Bezug auf ihre umfassenden Ausführungen im Beschluss vom 31.07.2009 – 6 L 382/09 – und weist ergänzend darauf hin, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 22.10.2009 – 5 C 19.08 -, NVwZ-RR 2010, 231 = juris (dort Rdnr. 16), unter Zitierung des o.a. Beschlusses der Kammer die existentielle und herausragende Bedeutung des Elternrechts auch behinderter Eltern ebenfalls betont.

Der im o.a. Beschluss der Kammer dargestellte sozialhilferechtliche Anspruch der Klägerin konkurriert nicht mit einem ganz oder teilweise deckungsgleichen jugendhilferechtlichen Anspruch; auf Rechtsfragen des Konkurrenzverhältnisses zwischen Ansprüchen nach dem SGB VIII und dem SGB XII (vgl. dazu z.B. § 10 Abs. 4 SGB VIII) kommt es deshalb hier nicht an. Der Hilfebedarf besteht im vorliegenden Fall ausschließlich in der Person der Klägerin und nicht etwa (auch oder gar allein) bei ihrem Kind, worauf die Klägerin bereits in ihrem ersten Antragsschreiben vom 5.3.2009 ausdrücklich hingewiesen hatte und was die Kammer ausführlich schon im Beschluss vom 31.07.2009 dargelegt hat; auf jene Ausführungen wird verwiesen.

Da der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung erstmals die Auffassung hat anklingen lassen, § 20 SGB VIII sei mit Blick auf die zum 18.08.2009 wieder aufgenommene Berufstätigkeit des Ehemannes der Klägerin einschlägig, merkt die Kammer insoweit ergänzend Folgendes an:

Nach § 20 Abs. 1 SGB VIII (Betreuung und Versorgung eines Kindes in Notsituationen) soll dann, wenn der Elternteil, der die überwiegende Betreuung des Kindes übernommen hat, für die Wahrnehmung dieser Aufgabe aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen ausfällt, der andere Elternteil bei der Betreuung und Versorgung des im Haushalt lebenden Kindes unterstützt werden, wenn 1. er (d.h. der „andere Elternteil“) wegen berufsbedingter Abwesenheit nicht in der Lage ist, die Aufgabe wahrzunehmen, 2. die Hilfe erforderlich ist, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten, 3. Angebote der Förderung des Kindes in Tageseinrichtungen oder in Kindertagespflege nicht ausreichen. Die in den Ziffern 1. bis 3. aufgeführten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

Vgl. Kunkel, in: LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 20 Rdnr. 6; Struck in: Frankfurter Kommentar SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 20 Rdnr. 7; Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 20 Rdnrn. 12 bis 14.

Gleich mehrere Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 SGB VIII sind im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfüllt.

Die berufsbedingte Abwesenheit eines Elternteils ist bereits kein „anderer zwingender Grund“, d.h. keine Notsituation i.S.d. § 20 SGB VIII. Für die berufsbedingte Abwesenheit eines Elternteils sind vielmehr die Leistungen nach §§ 22 bis 26 SGB VIII vorgesehen.

Vgl. Struck, a.a.O., § 20 Rdnr 6.

Die Klägerin – als der nach der angedeuteten Auffassung des Beigeladenen „andere Elternteil“ – ist zudem nicht wegen Berufstätigkeit an der Versorgung ihres Kindes gehindert (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII).

Schließlich dient eine Jugendhilfemaßnahme nach § 20 SGB VIII, wie die Kammer schon im Beschluss vom 31.07.2009 dargelegt hat, der Überbrückung lediglich eines vorübergehenden (Not-)Zeitraumes. Sowohl die Behinderung der Klägerin als auch die Berufstätigkeit ihres Ehemannes sind jedoch dauerhafte Umstände.

Aus allem Vorstehenden ergibt sich, dass der Klägerin ausschließlich ein sozialhilferechtlicher Anspruch auf „Elternassistenz“ nach § 53 SGB XII zusteht. Obwohl zu dessen Erfüllung letztlich der Beigeladene als sachlich zuständiger überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 97 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 1 AG-SGB XII NRW) verpflichtet ist, hat vorläufig der Beklagte den geltend gemachten Anspruch zu erfüllen. Denn der Beigeladene hat den am 06.03.2009 zunächst bei ihm gestellten Hilfeantrag der Klägerin innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX an den Beklagten gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX weitergeleitet – wenn auch objektiv zu Unrecht – mit der Folge, dass der Beklagte vorläufig, d.h. im Außenverhältnis zur Klägerin, für die Leistungserbringung zwingend zuständig wurde.

Auch dies hat die Kammer schon im Beschluss vom 31.07.2009 – 6 L 382/09 – ausführlich begründet, weshalb sie auf jene Ausführungen wiederum Bezug nimmt.

Da die Beteiligten übereinstimmend davon ausgehen, dass die Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum insgesamt 12.424,80 EUR als Hilfeleistung beanspruchen kann, verzichtet die Kammer auf rechtliche und tatsächliche Ausführungen zur Höhe des Anspruchs der Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO. Die Kammer hat etwaige außergerichtliche Kosten des Beigeladenen nicht für erstattungsfähig erklärt, weil er sich mangels Stellung eines Antrags zur Sache nicht am Kostenrisiko beteiligt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

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