Unterhalt bei Kindesbetreuung (Alleinerziehende) | BGH XII ZR 94/09 zu Betreuungsunterhalt, Dauer, Anpassung und Altersphasenmodell

Mit der Entscheidung verfestigt der BGH seine Rechtsprechung zum neuen (seit 01.01.2008 gültigen) Unterhaltsrecht, bejaht eine phasenweise Anpassung beim Unterhalt für Kindesbetreuung für Alleinerziehende, aber versagt erneut die Beurteilung des Anspruches alleine anhand des Altersphasenmodells.

Die Leitsätze der Entscheidung Unterhalt für Kindesbetreuung für Alleinerziehende lauten:

a) Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes, etwa bis zum achten und zum zwölften Lebensjahr, abstellt, wird den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht (im Anschluss an das Senatsurteil vom 30. März 2011 – XII ZR 3/09 – FamRZ 2011, 791).
b) Das gilt auch, wenn solche Altersphasen nur als Regelfall behandelt werden, innerhalb dessen die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, die Begründung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils aber nicht auf individuelle Einzelumstände gestützt ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 28).

BGH, Versäumnisurteil vom 15. Juni 2011 – XII ZR 94/09 – OLG Düsseldorf
AG Grevenbroich

In der Entscheidung wird zum Unterhalt, der Dauer,  der Anpassung und dem Altersphasenmodell weiter ausgeführt:

„… Mit der Neuregelung des Betreuungsunterhalts durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3189) hat der Gesetzgeber einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden kann (BT-Drucks. 16/6980 S. 8 f.). Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidung sind nach dem Willen des Gesetzgebers kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen. Dabei wird der Betreuungsunterhalt vor allem im Interesse des Kindes gewährt, um dessen Betreuung und Erziehung sicherzustellen (BT-Drucks. 16/6980 S. 9; Senatsurteil vom 30. März 2011 – XII ZR 3/09 – FamRZ 2011, 791 Rn. 18 mwN).

(…)

Wie der Senat bereits wiederholt ausgesprochen hat, verlangt die gesetzliche Neuregelung zwar keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit (vgl. auch BT-Drucks. 16/6980 S. 9). Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB) und elternbezogenen (§ 1570 Abs. 2 BGB) Gründe ist auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich (Senatsurteil vom 30. März 2011 – XII ZR 3/09 – FamRZ 2011, 791 Rn. 20 mwN). Ein solcher gestufter Übergang setzt aber nach dem Willen des Gesetzgebers voraus, dass der unterhaltsberechtigte Elternteil kind- und/oder elternbezogene Gründe vorträgt, die einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils mit Vollendung des dritten Lebensjahres entgegenstehen (Senatsurteil vom 1. Juni 2011 – XII ZR 45/09 – zur Veröffentlichung bestimmt). Nur an solchen individuellen Gründen kann sich der gestufte Übergang im Einzelfall orientieren.

Soweit in Rechtsprechung und Literatur auch zu der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Rechtslage abweichende Auffassungen vertreten werden, die an das frühere Altersphasenmodell anknüpfen und eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts allein oder überwiegend vom Kindesalter abhängig machen, sind diese im Hinblick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht haltbar (Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 28).

Die kindbezogenen Verlängerungsgründe, insbesondere die Betreuungsbedürftigkeit, und die elternbezogenen Verlängerungsgründe als Ausdruck der nachehelichen Solidarität sind vielmehr nach den individuellen Verhältnissen zu ermitteln (Senatsurteil vom 1. Juni 2011 – XII ZR 45/09 – zur Veröffentlichung bestimmt).

(…)

Selbst wenn das Oberlandesgericht hier nicht allein auf das Alter des Kindes abgestellt, sondern die von ihm dargelegten Altersphasen nur als Regelfall bewertet hat, innerhalb dessen die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, entspricht dies nicht der Rechtsprechung des Senats. Denn indem das Oberlandesgericht keine durchgreifenden individuellen Einzelumstände anführt, stellt es letztlich überwiegend auf den allein am Alter des gemeinsamen Kindes orientierten Regelfall ab. Dies widerspricht der gesetzlichen Neuregelung, wie der Senat bereits wiederholt ausgeführt hat (vgl. Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 28).“

Die Rechtsprechung des BGH macht deutlich: Wer länger als bis zum dritten Lebensjahr des Kindes Betreuungsunterhalt beansprucht, muß nach der seit 01.01.2008 geltenden Gesetzeslage in Verbindung mit der Rechtsprechung des BGH die Gründe sowohl darlegen als auch beweisen, das Zurückgreifen der Gerichte pauschal auf das zur alten Rechtslage entwickelte Altersphasenmodell ist vom Gesetz nicht mehr gedeckt.

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