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Pressemitteilung Nr. 13/2011 vom 11. Februar 2011
Beschluss vom 25. Januar 2011
1 BvR 918/10
Neue Rechtsprechung zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts unter
Anwendung der sogenannten Dreiteilungsmethode verfassungswidrig
Mit dem am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des
Unterhaltsrechts hat der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht mit dem Ziel
der Stärkung des Kindeswohls, der wirtschaftlichen Entlastung
sogenannten Zweitfamilien sowie der Vereinfachung reformiert. Im
Geschiedenenunterhaltsrecht gilt seitdem verstärkt der Grundsatz der
wirtschaftlichen Eigenverantwortung jedes Ehegatten, dem es gemäß § 1569
BGB n.F. obliegt, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, es sei denn, er
ist hierzu außerstande. Durch den neu geschaffenen § 1578b BGB ist die
Möglichkeit eröffnet worden, den nachehelichen Unterhalt im Einzelfall
unter Billigkeitsgesichtspunkten herabzusetzen und/oder zeitlich zu
begrenzen. Des Weiteren ist die Rangfolge der Unterhaltsberechtigten für
den Fall, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, ihnen
allen Unterhalt zu leisten (sogenannter Mangelfall), in § 1609 BGB neu
festgelegt worden: Während den minderjährigen Kindern der erste Rang
zugewiesen ist, sind geschiedene und nachfolgende Ehegatten im Rang
grundsätzlich gleichgestellt.
Unverändert ist dagegen neben der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des
Unterhaltspflichtigen (§ 1581 BGB) die Regelung des Maßes des
nachehelich zu gewährenden Unterhalts geblieben, das sich gemäß § 1578
Abs. 1 Satz 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt. Nach
der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs waren für die
Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse grundsätzlich die
Verhältnisse zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung maßgeblich.
Danach eintretende Veränderungen der Verhältnisse wurden nur
ausnahmsweise in die Unterhaltsbedarfsbestimmung einbezogen. Änderungen
des Einkommens des geschiedenen Ehegatten waren beispielsweise in die
Ermittlung des Unterhaltsmaßes nur dann einzubeziehen, wenn sie zum
Zeitpunkt der Scheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen
waren und diese Erwartung die ehelichen Lebensverhältnisse bereits
geprägt hatte oder aber die Änderungen das Surrogat einer zuvor
erbrachten Haushaltsführung darstellten.
Nunmehr geht der Bundesgerichtshof aber davon aus, dass die für die Höhe
des Unterhaltsbedarfs maßgeblichen Lebensverhältnisse einer geschiedenen
Ehe Veränderungen unabhängig davon erfahren können, ob diese in der Ehe
angelegt waren. Mit Urteil vom 30. Juli 2008 (BGHZ 177, 356) hat er
erstmals eine Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehepartner in die
Bemessung des Bedarfs des vorangegangenen, geschiedenen Ehegatten
einbezogen: Der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten sei zu
ermitteln, indem seine bereinigten Einkünfte ebenso wie diejenigen des
Unterhaltspflichtigen und dessen neuen Ehepartners zusammengefasst und
durch drei geteilt würden (sogenannte Dreiteilungsmethode). Mittels
einer Kontrollrechnung sei sodann sicherzustellen, dass der geschiedene
Ehegatte maximal in der Höhe Unterhalt erhalte, die sich ergäbe, wenn
der Unterhaltspflichtige nicht erneut geheiratet hätte.
Der Beschwerdeführerin, die 24 Jahre mit dem Kläger des
Ausgangsverfahrens verheiratet war, wurde zunächst im Zuge der Scheidung
ein nachehelicher Aufstockungsunterhalt von 618 € monatlich zuerkannt.
Nach der Wiederheirat des Klägers setzte das Amtsgericht im
Ausgangsverfahren in Anwendung der neuen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs den monatlich zu zahlenden Unterhalt auf 488 € herab,
indem es die Einkünfte der nachfolgenden Ehefrau im Wege der
Dreiteilungsmethode in die Bedarfsberechnung einbezog. Das
Oberlandesgericht hielt das Urteil hinsichtlich der Unterhaltsbemessung
aufrecht. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin
insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf allgemeine
Handlungsfreiheit.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat das Urteil des
Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung
dorthin zurückverwiesen. Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB
entwickelte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den „wandelbaren
ehelichen Lebensverhältnissen“ unter Anwendung der Berechnungsmethode
der sogenannten Dreiteilung löst sich von dem Konzept des Gesetzgebers
zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetzt es durch ein
eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet die neue
Rechtsprechung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzt
die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Das Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen
Unterhalts differenziert zwischen der Unterhaltsbedürftigkeit des
Berechtigten, dessen Unterhaltsbedarf, der Leistungsfähigkeit des
Pflichtigen sowie der Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter. Den
Ausgangspunkt der Unterhaltsberechnung bildet die Bestimmung des
Unterhaltsbedarfs, an dessen Ermittlung sich die Prüfung der
Leistungsfähigkeit des Pflichtigen sowie der Verteilung der verfügbaren
Geldmittel im Mangelfall anschließt. An dieser Strukturierung hat der
Gesetzgeber anlässlich der Unterhaltsreform festgehalten. Dies gilt
ebenso für die Ausrichtung des Unterhaltsmaßes an den ehelichen
Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, mit der der
Gesetzgeber auf die individuellen Einkommensverhältnisse der
geschiedenen Ehegatten Bezug genommen hat, die er nach wie vor zum
Zeitpunkt der Scheidung bestimmt wissen will.
Über dieses beibehaltene Konzept setzt sich die neue Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs hinweg, indem sie einen Systemwechsel vornimmt, bei
dem sie die gesetzgeberische Grundentscheidung zur Bestimmung des
Unterhaltsbedarfs durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt. Die
geänderte Auslegung hebt die gesetzliche Differenzierung zwischen
Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit auf. Sie berücksichtigt die
nachehelich entstandenen Unterhaltspflichten gegenüber einem weiteren
Ehegatten bereits auf der Ebene des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten
(§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB), obwohl deren Berücksichtigung gesetzlich
erst auf der Ebene der nach den gegenwärtigen Verhältnissen des
Unterhaltspflichtigen zu beurteilenden Leistungsfähigkeit nach § 1581
BGB vorgesehen ist. Statt die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs nach den
„ehelichen Lebensverhältnissen“ der aufgelösten Ehe vorzunehmen, ersetzt
sie diesen Maßstab durch den der „wandelbaren ehelichen
Lebensverhältnisse“ und bestimmt damit und unter Anwendung der
Dreiteilungsmethode den Unterhaltsbedarf letztlich nach den
tatsächlichen Lebensverhältnissen und finanziellen Ausstattungen wie
Belastungen der Geschiedenen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des
Unterhalts unter Einbeziehung auch des Einkommens, das der neue Ehegatte
des Unterhaltspflichtigen erzielt oder das ihm fiktiv zugerechnet wird.
Dieser neue Maßstab spiegelt die ehelichen Lebensverhältnisse nicht mehr
wider und löst sich in Gänze von der gesetzlichen Vorgabe.
Zudem bezieht die neue Rechtsprechung den Unterhaltsbedarf des
nachfolgenden Ehegatten nur so lange in die Bestimmung des
Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten mit ein, wie dies zu einer
Verkürzung des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten führt. Wirkt sich die
Dreiteilungsmethode zugunsten des geschiedenen Ehegatten aus, wird sein
Unterhaltsbedarf mittels der vom Bundesgerichtshof vorgesehenen
Kontrollrechnung auf den sich nach seinen ehelichen Lebensverhältnissen
ergebenden Betrag herabbemessen. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist,
dass der geschiedene Ehegatte infolge der neuen
Bedarfsermittlungsmethode regelmäßig weniger, selten dasselbe, nie aber
mehr erhält als im Wege einer nach den ehelichen Lebensverhältnissen
bestimmten Berechnung.
Die neue Rechtsprechung lässt sich mit keiner der anerkannten
Auslegungsmethoden rechtfertigen. Sie läuft dem klaren Wortlaut des §
1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zuwider, der die „ehelichen Verhältnisse“ zum
Maßstab der Bedarfsbemessung erhoben hat und damit diejenigen
Verhältnisse, die in der geschiedenen Ehe bestanden haben oder zumindest
mit ihr in Zusammenhang stehen. Ein Bezug zu den „ehelichen
Lebensverhältnissen“ lässt sich jedoch nicht mehr bei der Einbeziehung
von Veränderungen herstellen, die gerade nicht auf die Ehe
zurückzuführen sind, sondern - wie Unterhaltspflichten gegenüber einem
neuen Ehegatten - scheidungsbedingt sind.
Die neue Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB lässt sich auch nicht
aus dessen systematischer Einbindung in den Normenkontext herleiten, da
sie die vom Gesetzgeber vorgesehene Differenzierung zwischen
Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit aufhebt. Zudem widerspricht sie
dem Zweck des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, der dazu dient, dem
unterhaltsberechtigten Ehegatten bei der Bestimmung seines Bedarfs
grundsätzlich gleiche Teilhabe an dem zum Zeitpunkt der Rechtskraft der
Scheidung gemeinsam erreichten Status zu gewähren. Die mit der
Kontrollrechnung verbundene richterliche Dreiteilungsmethode belastet
den vorangegangenen Ehegatten einseitig zugunsten des
Unterhaltspflichtigen und dessen nachfolgenden Ehegatten. Sie setzt sich
überdies über den Willen des Gesetzgebers hinweg. Soweit dieser
Einschränkungen beim nachehelichen Unterhalt vorgenommen hat, wie bei
der Kürzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen nach § 1578b BGB,
hat er damit die unterhaltsrechtliche Position des geschiedenen
Ehegatten nicht von vornherein verschlechtern wollen, wie dies die
Bedarfsbestimmung nach der Dreiteilung vorsieht, sondern nur unter
bestimmten Billigkeitsgesichtspunkten.
Die geänderte Rechtsprechung lässt sich schließlich nicht mit dem Ziel
der Unterhaltsreform begründen, das Unterhaltsrecht zu vereinfachen. Sie
erleichtert die Unterhaltsberechnung nicht, sondern erweitert sie um den
Rechenschritt der Bedarfsermittlung im Wege der Dreiteilung, da sie im
Rahmen der Kontrollrechnung eine Berechnung des Unterhalts nach der von
der Rechtsprechung herkömmlich angewandten Methode unter
Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse der aufgelösten Ehe
vorsieht.
2. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung des
Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer
wirtschaftlichen Handlungsfreiheit als Ausprägung der allgemeinen
Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Sie beruht auf der die Grenze
zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreitenden neuen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in deren Folge der
Unterhaltsbedarf der Beschwerdeführerin und damit ihr Unterhaltsanspruch
in einem vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Maße verkürzt worden sind.
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