PM BGH – Erste Entscheidung des BGH zum Umgangsrecht des biologischen Vaters nach der gesetzlichen Neuregelung

Nachfolgend wird die Pressemitteilung des BGH zum Beschluss vom 05.10.16 wiedergegeben. Inhaltlich geht es um das gesetzlich verankerte Umgangsrecht des leiblichen Vaters. Dieses ist vergleichweise schwach in § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB ausgestaltet. Danach hat, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht, der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient. Das Umgangsrecht ist also nach dem Gesetzestext davon abhängig, dass es dem Wohl des Kindes dient.

Der BGH führt dazu in seiner ebenfalls bereits veröffentlichten Entscheidung jedoch näher aus wie folgt:

    b) Im Rahmen der Kindeswohlprüfung ist nach der Gesetzesbegründung zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit Umgangskontakte mit einem „gewissermaßen zweiten, ausschließlich auf der biologischen Abstammung beruhenden Vater“ für das Kind eine seelische Belastung darstellten, ob das Kind dadurch in einer dem Kindeswohl abträglichen Weise verunsichert werde, inwieweit die Kindesmutter und der biologische Vater gegebenenfalls ihre Konflikte nach der Trennung begrenzen könnten und wie der Umgang im Interesse einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung und der Identitätsfindung des Kindes zu bewerten sei. Die Frage der Kindeswohldienlichkeit werde je nach familiärer Situation, Stabilität und Belastbarkeit des Familienverbands, Beziehungskonstellation bzw. Konfliktniveau zwischen den betroffenen Erwachsenen, Alter und psychischer Widerstandsfähigkeit des Kindes, Grad der Bindung des Kindes an seine rechtlich-sozialen Eltern, Dauer der Kenntnis von der Existenz eines biologischen Vaters etc. unterschiedlich zu beurteilen sein. Die Regelung stelle es in das Ermessen des Gerichts, ob im Einzelfall zunächst die biologische Vaterschaft oder die Frage des Kindeswohls geprüft werde (BT-Drucks. 17/12163 S. 13; vgl. BVerfG FamRZ 2015, 119 Rn. 13).

In dem vorliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht die Voraussetzungen des § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB im Ausgangspunkt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise geprüft, jedoch hat der BGH ausgeführt, die Schlussfolgerung des Oberlandesgerichts, wonach der Umgang dem Kindeswohl nicht dienen würde, beruhten auf verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen.

Aus den Leitsätzen der Entscheidung ergeben sich die vom BGH verlangten Grundsätze. Diese lauten:

      a) Allein der Umstand, dass sich die rechtlichen Eltern beharrlich weigern, einen Umgang des Kindes mit seinem leiblichen Vater zuzulassen, genügt nicht, um den entsprechenden Antrag gemäß § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB zurückzuweisen.
      b) Ist einziger Grund für das Scheitern des Umgangs die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern und die damit einhergehende Befürchtung, dass diese mit einer Umgangsregelung psychisch überfordert wären und dadurch mittelbar das Kindeswohl beeinträchtigt wäre, sind strenge Anforderungen an die entsprechenden Feststellungen zu stellen.
      c) Auch im Verfahren nach § 1686 a BGB hat das Gericht das Kind grundsätzlich persönlich anzuhören.
    d) Vor einer Anhörung bzw. einer etwaigen Begutachtung ist das Kind bei entspre-chender Reife grundsätzlich über seine wahre Abstammung zu unterrichten, sofern ein Umgang nicht bereits aus anderen, nicht unmittelbar das Kind betreffenden Gründen ausscheidet.

Erfreulich ist insoweit, dass der BGH diese Grundsätze aufgestellt und die Sache erneut an das Oberlandesgericht zurückverwiesen hat. Aus der Pressemitteilung ergibt sich aber leider auch der bereits sehr lange Weg des leiblichen Vaters, Umgang aber erfolgt noch immer nicht.

Eines dürfte aber nicht mehr zu verhindern sein, die Kinder werden erfahren, dass der rechtliche Vater nicht der leibliche Vater ist und sie sind vom Gericht anzuhören, sofern ein Umgang nicht bereits aus anderen, nicht unmittelbar das Kind betreffenden Gründen ausscheidet.

Die Pressemitteilung vom 03.11.2016 im Wortlaut:

———————————————

Pressemitteilung
BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2016 – XII ZB 280/15

Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat hat entschieden, dass die beharrliche Weigerung der rechtlichen Eltern, einen Umgang ihres Kindes mit seinem leiblichen Vater zuzulassen, allein nicht genügt, um ein Umgangsrecht abzulehnen.

Aus der Beziehung des aus Nigeria stammenden Antragstellers mit einer verheirateten Frau sind die Ende 2005 geborenen Zwillinge hervorgegangen. Die Mutter lebt bereits seit August 2005 wieder mit ihrem Ehemann und den Kindern zusammen, darunter auch die im Jahr 1996, 1998 und 2000 geborenen, gemeinsamen Kinder der Eheleute. Der mittlerweile in Spanien lebende Antragsteller begehrte seit der Geburt der Zwillinge Umgang mit ihnen, was die Mutter und ihr Ehemann wiederholt abgelehnt haben. Im Januar 2006 leitete der Antragsteller das erste Umgangsrechtsverfahren ein. Nachdem das Familiengericht Umgangskontakte angeordnet hatte, hob das Oberlandesgericht diese Entscheidung auf, weil ein Umgangsrecht des biologischen Vaters, der nicht in einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind stehe oder gestanden habe, nicht vorgesehen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Schließlich stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 21. Dezember 2010 (FamRZ 2011, 269) fest, dass die Versagung jeglichen Umgangs ohne eine Prüfung der Frage, ob ein solcher Umgang dem Kindeswohl dienlich wäre, eine Verletzung von Art. 8 EMRK* darstelle. Daraufhin hat der Antragsteller im März 2011 erneut eine Umgangsregelung beantragt. Während das Amtsgericht wiederum einen monatlichen, begleiteten Umgang angeordnet hatte, hat das Oberlandesgericht auf die Beschwerde der rechtlichen Eltern den Umgangsrechtsantrag zurückgewiesen.

Der Senat hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers aufgehoben. Solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht – hier des Ehemanns, der die rechtliche Vaterschaft gemäß § 1592 Nr. 1 BGB** erlangt hat, weil er zum Zeitpunkt der Geburt der Zwillinge mit der Mutter verheiratet war – hat der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, gemäß § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB*** ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient. Diese Neuregelung ist mit Wirkung vom 13. Juli 2013 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden. Grund hierfür war die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zuvor u.a. auch in dem den Antragsteller betreffenden Verfahren festgestellte Verletzung von Art. 8 EMRK.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf unzureichenden Ermittlungen. Das folgt bereits daraus, dass die Eltern sich geweigert haben, die Kinder über ihre wahre Abstammung zu unterrichten, die Sachverständigen den Kindern deshalb vorgetäuscht haben, das Gutachten im Rahmen der Zwillingsforschung zu erstellen und die Gerichte die zum Zeitpunkt der Begutachtung bereits neun Jahre alten Kinder nicht angehört haben. Der Senat hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass nicht nur das Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG****, sondern auch das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG***** geschützte Elternrecht, über die Information des Kindes hinsichtlich seiner wahren Abstammung zu bestimmen, grundsätzlich in den Fällen eingeschränkt ist, in denen der leibliche Vater ein Umgangsrecht nach § 1686 a BGB begehrt. Das Kind ist vor einer Anhörung bzw. einer etwaigen Begutachtung bei entsprechender Reife über seine wahre Abstammung zu unterrichten, sofern ein Umgang nicht bereits aus anderen, nicht unmittelbar das Kind betreffenden Gründen ausscheidet. Weigern sich die rechtlichen Eltern, dies selbst zu tun, steht es im Ermessen des Tatrichters, in welcher Art und Weise er für eine entsprechende Information des Kindes Sorge trägt. Ist einziger Grund für das Scheitern des Umgangs die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern und die damit einhergehende Befürchtung, dass diese mit einer Umgangsregelung psychisch überfordert wären und dadurch mittelbar das Kindeswohl beeinträchtigt wäre, sind zudem strenge Anforderungen an die entsprechenden Feststellungen zu stellen.

Vorinstanzen:

AG Baden-Baden – Beschluss vom 8. März 2013 – 6 F 80/11

OLG Karlsruhe – Beschluss vom 1. Juni 2015 – 20 UF 63/13

*Art. 8 EMRK

(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

** § 1592 Nr. 1 BGB

Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist,

*** § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB

Solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht, hat der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient (…).

Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG

**** (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

***** (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Karlsruhe, den 03. November 2016

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

----------------
Zu dem Thema passende Informationen finden Sie auch in den Kategorien BGH | Familienrecht | Umgangsrecht