PM BVerfG | Zur Anrechnung des Kindergeldes auf den Kindesunterhalt bei gleichzeitigem Unterhalt für den Ehegatten

Pressemitteilung Nr. 50/2011 vom 10. August 2011

Beschluss vom 14. Juli 2011
1 BvR 932/10



Neuregelung zur Anrechnung des Kindergeldes auf den Kindesunterhalt bei der Ermittlung des nachrangigen Ehegattenunterhalts nicht verfassungswidrig
Der ein minderjähriges Kind betreuende Elternteil erfüllt seine
Unterhaltspflicht in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes
(Betreuungsunterhalt); der andere Elternteil ist zur Zahlung von
Barunterhalt verpflichtet. Das Kindergeld steht grundsätzlich beiden
Elternteilen zu gleichen Teilen zu, wird jedoch zur
verwaltungstechnischen Erleichterung nur einem Elternteil, regelmäßig
dem betreuenden, ausgezahlt. 

Nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage wurde das dem
betreuenden Elternteil ausgezahlte Kindergeld mit dem Barunterhalt
verrechnet. Schuldete der barunterhaltspflichtige Elternteil neben dem
Kindesunterhalt auch Ehegattenunterhalt, wurde bei dessen Berechnung der
Kindesunterhalt in Höhe des entsprechenden Betrages nach der sog.
Düsseldorfer Tabelle (sog. Tabellenbetrag) abgezogen. Diese
Berechnungsmethode führte dazu, dass dem Barunterhaltspflichtigen sein
Kindergeldanteil grundsätzlich unvermindert für eigene Zwecke verblieb. 

Nach der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Reform des
Unterhaltsrechts orientiert sich der dynamische Kindesunterhalt nicht
mehr an der Regelbetragsverordnung, sondern an einem im Gesetz
festgeschriebenen Mindestunterhalt, der sich in Anpassung an die
Vorschriften des Steuerrechts nach dem doppelten Freibetrag für das
Existenzminimum eines Kindes richtet. Das Kindergeld ist nach der
Neuregelung des § 1612b BGB zur Deckung des Barbedarfs des Kindes zu
verwenden und zwar zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine
Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt, in allen anderen
Fällen in voller Höhe. 

Der Bundesgerichtshof geht seit der Unterhaltsreform davon aus, dass das
Kindergeld nicht mehr - wie nach der früheren Rechtslage - Einkommen der
Eltern, sondern Einkommen des Kindes darstellt und daher vom Einkommen
des Unterhaltspflichtigen vor der Ermittlung geschuldeten
Ehegattenunterhalts nicht mehr der Tabellenbetrag, sondern nur der
Zahlbetrag an Kindesunterhalt abzuziehen ist. 

Der Beschwerdeführer ist sowohl seiner Tochter als auch seiner
geschiedenen Ehefrau, bei der das gemeinsame Kind lebt, zu Unterhalt
verpflichtet. In Anwendung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
ermittelte das Oberlandesgericht den nachrangigen Unterhalt der
geschiedenen Ehefrau unter Vorwegabzug des Zahlbetrages an
Kindesunterhalt vom Einkommen des Beschwerdeführers. 

Der Beschwerdeführer sieht darin eine Verletzung des aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgenden Gleichbehandlungsgebots von
Bar- und Betreuungsunterhalt. Während er aufgrund des Abzugs lediglich
des Zahlbetrages seinen Kindergeldanteil letztlich zur Zahlung des
Ehegattenunterhalts verwenden müsse, bleibe seiner geschiedenen Ehefrau
der auf sie entfallende Kindergeldanteil erhalten. 

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da die
Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen. Die Neuregelung der
Kindergeldanrechnung sowie die aus ihr folgende Berechnung nachrangig
geschuldeten Ehegattenunterhalts verstoßen nicht gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz. 

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Es stellt keine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung von Bar- und
Betreuungsunterhalt dar, dass das Oberlandesgericht das Kindergeld
bereits auf den Unterhaltsbedarf der Tochter des Beschwerdeführers
angerechnet und demzufolge bei der Ermittlung des nachrangigen
Ehegattenunterhalts von dessen Einkommen nicht den Tabellenbetrag,
sondern lediglich den Zahlbetrag an Kindesunterhalt abgesetzt hat. 

Der Gesetzgeber hat im Zuge der Unterhaltsrechtsreform einen
Systemwechsel bei der Zuweisung des Kindergeldes vollzogen, das nun
nicht mehr den Eltern, sondern den Kindern selbst als deren eigenes
Einkommen familienrechtlich bindend und unabhängig vom Außenverhältnis
zwischen dem Bezugsberechtigten und der Familienkasse zugewiesen ist.
Diese neue Zuweisung des Kindergeldes ergibt sich aus dem Wortlaut des §
1612b BGB n.F., wonach dieses zur Deckung des Barbedarfs des Kindes zu
verwenden ist, und entspricht im Übrigen dem Willen des Gesetzgebers.
Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich des Weiteren, dass zur
Ermittlung des nachrangigen Ehegattenunterhalts vom Einkommen des
Unterhaltspflichtigen infolge dieser geänderten Zuweisung nunmehr
lediglich der Zahlbetrag an Kindesunterhalt abgezogen werden soll. 

Mit dieser Änderung ist keine Ungleichbehandlung verbunden. Die frühere
Bestimmung des Kindergeldes, nach der es den Eltern für deren eigene
Zwecke zugute kam, ist entfallen. Der Gesetzgeber hat anlässlich der
Unterhaltsrechtsreform beide Elternteile, unabhängig davon, ob sie Bar-
oder Betreuungsunterhalt leisten, verpflichtet, den auf sie entfallenden
Kindergeldanteil ausschließlich für den Unterhalt des Kindes zu
verwenden. Nicht nur der Barunterhaltspflichtige hat den auf den
Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteil vollständig für den
Barunterhalt des Kindes zu verwenden mit der Folge, dass von seinem
unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen nur der Zahlbetrag an
Kindesunterhalt abzusetzen ist. Auch der Betreuungsunterhaltspflichtige
ist verpflichtet, den auf ihn entfallenden Kindergeldanteil vollständig
für den Betreuungsunterhalt des Kindes zu verwenden. Dabei kann in
Anbetracht der Orientierung der Höhe des Kindergeldes am Existenzminimum
des Kindes davon ausgegangen werden, dass der Bezugsberechtigte das
Kindergeld auch tatsächlich für die Bedürfnisse seines Kindes verwendet.
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